So entstehen Gerüchte

Freitag früh: Die Kita-Erzieherin berichtet, in der Gegend um die Kita treibe sich ein Exhibitionist rum. Die Polizei sucht ihn schon mit Lautsprecherdurchsagen. Angeblich war er schon in einer anderen Kita der Gegend und hat sich dort gezeigt.

Auf Anweisung der Kita-Leitung werden die Kinder durch die Erzieherinnen informiert. Ab sofort darf kein Kind nicht mehr allein durch die Kita gehen.

Sonntag abend: Ein Nachbar erzählt, in der Gegend renne ein Vergewaltiger rum. Stünde in der Bild-Zeitung.

Montag früh: Die 4-jährige Tochter erklärt, ein böser Mann sei in der Großen-Leege-Strasse. Wenn sie ein fremder Mann anspricht und sagt, er hätte Bonbons, dann geht sie nicht mit ihm mit.

Langsam bin ich in Sorge. Nicht darüber, dass den Kindern etwas passieren könnte, sondern darüber, dass sie Angst haben. Also rufe ich bei der Polizei an. Schildere die Gerüchte. Der Polizist am Telefon sagt, davon wisse er nichts, aber er würde sich erkundigen und sich melden. Das tat er auch.

Die Fakten: In der Silvesternacht kam es in unserer Gegend in Hohenschönhausen zu 3 Vergewaltigungen. Der Täter wird seit letzter Woche per Phantombild gesucht. Für den gesamten Bereich Hohenschönhausen gibt es eine Meldung zu einem Exhibitionisten, allerdings nicht im entferntesten in unserer Gegend.

Was mich an der Sache fasziniert, ist die Gerüchteküche. Was mich maßlos ärgert ist die Reaktion der Kita. Wenn man sich die Fakten anschaut, besteht für die Kinder keinerlei Gefahr. Sieht man davon ab, dass die Vergewaltigungen 8 Wochen her sind, so sind Frauen die Zielgruppe des Täters. Es ist unverantwortlich, die Kinder derart zu verängstigen. Wenn jemand zu warnen war, dann die Mütter nicht die Kinder.

Davon abgesehen, ist der Hinweis "Wenn Dir ein fremder Mann bei sich zu Hause Bonbons schenken will, dann gehst Du nicht mit" absolut unnütz. Zum einen sind Kindergartenkinder selten ohne Begleitung auf der Straße. Zum anderen muss man den Kindern sagen, was sie tun sollen, nicht was sie nicht tun sollen. Z.B., dass sie einfach zurück in die Kita gehen sollen, sollten sie vor der Kita angesprochen werden. Oder zu einer anderen Mutter mit Kind gehen, wenn sie Angst vor jemandem haben.

Dass Einzige, was diese "Mann mit Bonbons -> gehe nicht mit"-Sprüche bewirken, ist Angst vor Fremden. Und das ist kreuzgefährlich. Fremde Menschen, auch Männer, sind im Falle einer echten Gefährdung die größte Hilfe, die ein Kind haben kann. Macht man dem Kind Angst vor Fremden, beraubt man es seines effektivsten Schutzes.

| Mo, 27. Feb 2006, 20:21 |
Janek Schwarz

Janek, 44 Jahre alt, Berliner, Familienvater, Punk-Fan. Dies ist mein privates Blog.

Im beruflichen Leben bin ich Gründer der EDI+EXPERTS, einem Software- und Beratungshaus für EDI-Lösungen.

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